Interview mit dem Mercaden-Leiter Jochen Klemens über einen Preis des Handelsverbandes, die Planung eines modernen Einkaufszentrums und das Waldheim Tannenberg
„Wer sind die?“ Wir sitzen im Waldheim Tannenberg im Freien und werden gemustert. Blazer und Notebook passen so gar nicht in diese Umgebung, die überraschend ruhig und organisiert wirkt bei so vielen Kindern und Jugendlichen. Einige Jungs füllen eine große Tüte mit Abfällen, eine Gruppe von Mädchen und Jungen spielt Völkerball und eine Jugendliche fragt uns, ob sie uns helfen könne. Eine Umgangskultur, die sich manches Unternehmen wünscht.
Wer sind die nun? Volker Siegle und Jochen Klemens haben sich heute Morgen in der inspirierenden Umgebung des Böblinger Waldheims Tannenberg getroffen. Es ist beeindruckend zu sehen, wie Teenager an der Gruppenleitung beteiligt sind, wie Böblinger, Flüchtlinge und zahlreiche Nationalitäten zusammen agieren und eine demokratische Entscheidungsstruktur zu einem ausgeglichenen Miteinander führen. Nach einer Führung mit Johannes Söhner sitzen wir nun für unser Interview im Freien und sind gespannt, wie man einen Preis für ein generationenübergreifendes Einkaufszentrum erhält.
Volker Siegle: Was braucht man heutzutage, um ein gut funktionierendes Kaufhaus zu eröffnen?
Jochen Klemens: Solche Planungen starten frühzeitig. Wir wollen ein innenstadtintegriertes Shoppingcenter sein, keines auf der grünen Wiese. Die Fragen zu Beginn lauten: Wie schafft man eine entsprechende Erreichbarkeit? Die Mercaden haben eine super Lage direkt an S-Bahn und Busbahnhof, eine direkte Anbindung an die Autobahn, ein großzügiges Parkangebot mit 800 XXL-breiten Stellplätzen, und auch zu Fuß sind wir sehr gut erreichbar. Wir fragen uns: Wie kommt der Kunde in das Center? Das war ein Thema des Preises für generationenfreundlichen Einkaufen, den wir erhalten haben. Die Barrierefreiheit für Ältere und Menschen mit Handicap ist uns wichtig. Das alles ist bereits Teil der Analyse, bevor es losgeht.
Natürlich geht es um die Branchen- und Sortiments-Planung. Bedarfsplanung und Bevölkerungsanalyse werden ausgewertet. Was bietet der Standort bereits? Was fehlt?
Wie können sich die Besucher orientieren? Wir achten auf die Wegweisung innerhalb eines Centers, auf die Möglichkeit persönlicher Ansprache und Ähnliches.
Bei der Planung schon war es uns wichtig, eine Architektur zu schaffen, die einen Wohlfühlcharakter schafft. Wir wollten nicht nur eine Verkaufsfläche planen, sondern einen Mittelpunkt für die Menschen realisieren.
Volker Siegle: Wie lange dauert so eine Planungsphase bis die Entscheidung getroffen wird: „Wir machen das!“?
Jochen Klemens: Vom Zeitpunkt der ersten Gespräche bis zur Fertigstellung waren es in Böblingen sechs Jahre. Das ging relativ schnell. Es gab eine europaweite Ausschreibung, wir haben die Gremien schnell überzeugt, weil wir ein ähnliches Konzept in Bergisch Gladbach umgesetzt hatten, das der Stadtrat auch besucht hat. Im Anschluss haben wir sehr gut operativ zusammengearbeitet. Skeptiker gibt es natürlich immer, vor allem im Bereich des Handels. Sie fürchten zusätzlichen Wettbewerb. Wir denken aber, dass wir Böblingen als Standort wieder wettbewerbsfähig machen.
Volker Siegle: Das liest sich immer toll. Bei ihnen habe ich aber das Gefühl, dass Sie wirklich die Besucher als Menschen im Blick haben. Wie kann ein Böblinger spüren, das die Mercaden ein Herzstück Böblingens sind ?
Jochen Klemens: Natürlich kann das jeder erzählen, aber man muss es auch leben. Wir interessieren uns für die Menschen in Böblingen und wollen auch gesellschaftlich präsent sein. Das zeigt auch der heutige Tag, das zeigen unsere regelmäßigen Aktionen. Ob ein DJ für das junge Publikum mit über 3000 Besuchern oder Fußballprominenz, ob der Wagen beim Böblinger Faschingsumzug oder die Eisenbahn für Jung und Alt. Wir sprechen ganz unterschiedliche Zielgruppen an.
Volker Siegle: Wenn Sie ältere Menschen ansprechen: Was machen Sie da?
Jochen Klemens: Das ist uns sehr wichtig. Für Ältere achten wir auf Barrierefreiheit, einen Infostand mit persönlicher Ansprache bei Fragen, Sicherheitsdienst und Ruhecenter auch außerhalb der Gastronomie. Aber es gibt natürlich auch viele Dinge, die wir auf dem Zettel haben, die noch nicht umgesetzt sind.
Volker Siegle: Geht da etwas konkret in die Planung?
Jochen Klemens: Für blinde Menschen soll eine Orientierung vom Bahnhof in die Mercaden geschaffen werden.
Volker Siegle: Gibt es dazu eine Analyse, wie viele Menschen im Raum Böblingen blind oder sehbehindert sind?
Jochen Klemens: Nein, das ist mir zumindest nicht bekannt.
Volker Siegle: Warum dann?
Jochen Klemens: Wir wollen möglichst allen Gesellschaftsschichten gerecht werden. Wenn wir eine Lücke entdecken, dann wollen wir handeln. Es ist nicht alles von Anbeginn an perfekt, wir lernen auch dazu. Als wir unsere Handy-Ladestation eingerichtet haben, gab es anfänglich auch das ein oder andere Handicap, die Bedienung war nicht jedem klar. Aber wir gehen mit der Zeit und nehmen wahr, welche Anforderungen dazu kommen.
Volker Siegle: Stichwort Ladestationen: Wie beeinflusst die Digitalisierung Ihr Konzept?
Jochen Klemens: Es gibt Lagepläne in mobiler Form, Infosysteme werden digitalisiert, es gibt Touchscreens,
eine neu eingerichtete, rund 40 Quadratmeter große LED-Tafel über unserem Haupteingang mit Informationen zu Veranstaltungen und Aktionen im Haus, die Kreiszeitung spielt Nachrichten ein, wir planen Wettervorhersagen, Bus- und Zugabfahrtszeiten und ähnliches - das geht weit darüber hinaus, was ein Shoppingcenter erfordert.
Volker Siegle: Sie haben am Wettbewerb für generationenübergreifenden Einkaufen teilgenommen und einen Preis gewonnen – ergaben sich für Sie dadurch neue Ideen oder neue Erkenntnisse?
Jochen Klemens: Wir haben den Preis gewonnen, ohne nachrüsten zu müssen. Das ist uns wichtig. Alle Kriterien waren von vornherein erfüllt, weil sie dem Selbstverständnis des Projektmanagements entsprechen.
Uns freut es, dass wir dies nach außen kommunizieren können: Wir erfüllen von vornherein diese Standards und der Preis belohnt uns dafür.
Der Preis ist zeitlich auf drei Jahre begrenzt - vielleicht gibt es in drei Jahren neue Kriterien des Handelsverbandes. Wir haben versprochen, unsere Standards nicht nur zu halten, sondern weiterzuentwickeln - um in drei Jahren den Preis wieder zu bekommen.
Volker Siegle: Wir haben mit Fragen zur Analyse begonnen - nun noch eine zum Schluss: bei welcher Zielgruppe ist es noch nicht ganz angekommen, was Sie generationsübergreifend machen?
Jochen Klemens: Vor allem wünschen wir uns noch mehr Familien - Wir haben eine tolle Kinderbetreuung an jedem ersten Samstag im Monat mit wechselnden Aktionen, während die Eltern die Großeinkäufe für die Woche tätigen können.
Wir wollen kommunizieren, dass wir ein Haus für jedermann sind. Wir sind kein reines Fashion-Center, auch wenn die Mode wichtig ist. Wir bieten mit MediaMarkt inzwischen auch Unterhaltungselektronik, zudem vielfältige Gastronomie und vor allem Wohlfühlqualität durch eine ansprechende Architektur. Wir wollen ein Platz sein, den die Menschen nicht nur zum Shoppen besuchen.
Daniela Kaiser: Wie grenzen Sie sich zum breuningerLAND ab?
Jochen Klemens: Wir sind ein innenstadtzentriertes Einkaufszentrum in einer gewachsenen Innenstadt. Im Sommer kann man den Mercaden-Besuch mit einem Spaziergang zum See verbinden. Wir sind integrativer. Wir wünschen uns allerdings auch handelstechnisch ein entsprechendes Umfeld in der Bahnhofstraße und sinnvolle Konzepte in der weiteren Nachbarschaft im City Center. Wir werden gerne mit dem breuningerLAND verglichen. Aber auch das breuningerLAND ist vor dreißig Jahren nicht so gestartet, wie es sich heute präsentiert. Wir brauchen unsere Entwicklungszeit, und es ist in den letzten zwei Jahren auch viel passiert. Insgesamt haben wir einen starken Wettbewerb - durch Breuninger und auch durch Stuttgart. Das Gerber und Milaneo sind zur gleichen Zeit gestartet.
Wir wollen, dass der Böblinger nicht unbedingt nach Stuttgart fahren muss, sondern in seiner Stadt ein entsprechendes Angebot findet. Dafür haben wir auch wesentliche Voraussetzungen geschaffen. Auch die Stadt hat mit der Neugestaltung der Bahnhofstraße und des Uhlandhofes einen wichtigen Beitrag hierzu geleistet. Und nicht zu vergessen, was auf dem benachbarten Flugfeld entstanden ist und noch entsteht.
Schön wäre es, wenn im City Center neue Konzeptionen entwickelt würden - vielleicht nicht unbedingt handelstechnischer Art.
Wir sind sicher, dass Böblingen und unser Standort eine tolle Zukunft hat!
Wir lassen unseren Blick schweifen, die Entscheidungsträger von morgen halten ihre Gruppen motiviert zusammen. Inzwischen wissen sie, dass Volker Siegle den Leiter der Böblinger Mercaden, Jochen Klemens, interviewt.
Mehr Informationen zum generationenfreundlichen Einkaufen unter
http://www.generationenfreundliches-einkaufen.de/ueber-das-qualitaetszeichen/
12.August 2016 Daniela Kaiser & Volker Siegle