Die Businesswochen für die Region BB starten am 14.10.2024

Interview mit Rüdiger Passehl, einem der Preisträger des Innovation Awards der Böblinger Businesswochen 2015

Rüdiger Passehl steht bereits an der Tür, als wir aus dem Auto steigen. Die einladende Begrüßung eines Mannes, der Unternehmer und Erfinder ist, Hausbauer und regelmäßiger Gastgeber für Filmteams, die in seinem Haus drehen. „Das ist Entertainment und macht riesigen Spaß.“ Volker Siegle und Rüdiger Passehl erinnern sich an ihr Gespräch vor einem Jahr in seinem beeindruckenden Haus.

Daniela Kaiser: Als Kunsthistorikerin bewundere ich Ihr Haus, und als Betriebswirtin frage ich Sie: Was muss man machen, um ein solches Haus bauen zu können?
Rüdiger Passehl: Zur richtigen Zeit am richtigen Ort die richtigen Entscheidungen treffen.
Wir lachen. Und sind schon sehr gespannt auf die Entscheidungen, die es bei Rüdiger Passehl zu treffen galt. Volker Siegle interessiert sich brennend dafür, was aus seiner Erfindung geworden ist. Bei den Böblinger Businesswochen 2015 erreichte Rüdiger Passehl den zweiten Platz für einen Kühlbecher für Getränke. Bei Kaffee und Keksen schweifen die Gedanken in der Zeit zurück:

Volker Siegle: Vor knapp einem Jahr standen Sie bei der Auftaktveranstaltung der Böblinger Businesswochen auf der Bühne. Was ist von diesem Abend noch präsent? Was nehmen Sie mit?
Rüdiger Passehl: Die Veranstaltung ist bei mir sehr präsent. So viele Besucher hätte ich nicht erwartet. Meine Idee vor so vielen Menschen zu präsentieren, war etwas Besonderes.

Volker Siegle: Auch vor Ihrer Familie …
Rüdiger Passehl: Ja, auch das. Aber vor allem kam soviel positives Feedback aus dem Publikum und Nachfragen, wann man mein Produkt kaufen kann. Es war das erste Mal, dass ich damit an die Öffentlichkeit gegangen bin. Ich wusste nicht: Gibt es dafür einen Markt? Interessiert sich jemand für den sich selbst kühlenden Becher?

Volker Siegle: Sie hatten ein Produkt mit einem bestimmten Reifegrad - wie ging es nach den Businesswochen weiter?
Rüdiger Passehl: Um es kurz zu sagen: Ich habe das Projekt eingestampft. Ich habe keinen gefunden, der es produzieren wollte. Ich wurde belächelt: Da komme ich als Erfinder mit einem Produkt und plante keine Produktionsmenge von 100 Millionen Stück, sondern nur 1 Million. Für die Hersteller beträgt das Mindestvolumen 20 bis 25 Millionen Stück. Nur dann lohnt sich für sie die Anschaffung der kleinsten Maschine. Die großen Maschinen produzieren meinen Bedarf an einem Tag - da lohnt es sich nicht einmal, die Maschinen umzurüsten. Es war schwierig, überhaupt Gesprächspartner in den Firmen für die Anschub-Produktion zu finden. Das Ergebnis war: Weder in Osteuropa, noch über die IHK habe ich jemanden gefunden, der bereit war, meine Produktion zu starten. Dann war ich an dem Punkt: ich produziere es selbst. Ich fing an Hallen zu suchen, Second-Hand-Anbieter für Maschinen, und und und. Wenn ich alles hätte selbst aufziehen wollen, wäre ich beim Investitionsvolumen schnell im siebenstelligen Bereich gewesen.
Aber der noch wesentlichere Grund, dass ich meine Erfindung nicht weiterverfolge, ist folgender: Die verwendeten Grundstoffe der Kühleinheit zählen zu den Salzen, die auch in der Düngemittelindustrie verwendet werden, vor allem Ammoniumnitrat. Aufgrund seiner entzündlichen Eigenschaften steht es auf der schwarzen Liste. Die Regularien für die Verwendung von solchen Salzen werden immer drastischer. Aber ohne diese Salze bekomme ich die notwendige Kühlleistung für den Becher nicht hin. Es machte keinen Sinn, das Risiko ist unüberschaubar. Ich bin kein Chemiker, sondern studierter Feinwerktechniker.

Volker Siegle: Was denken Sie inzwischen? Halten Sie es für möglich, als Einzelner eine Produktidee auf den Markt zu bringen?
Rüdiger Passehl: Nein, nicht mehr. Nur noch Konzerne haben die notwendigen Ressourcen mit ihren Entwicklungsabteilungen. Eines meiner Ziele war, nach den Böblinger Businesswochen in „die Höhle der Löwen“ zu kommen. Ich erinnere mich noch daran, wie wir am Elevator Pitch gefeilt haben. Aber in „der Höhle der Löwen“ werden fertige, bereits auf dem Markt erprobte Produkte bevorzugt, die nur noch vermarktet werden müssen - mit Businessplänen und allem, was dazu gehört. Aber soweit war ich noch nicht. Mir fehlt in Deutschland die Unterstützung von Erfindern in der frühen Stufe. Gremien oder Veranstaltungen sollten Erfinder in den Bereichen Marketing, Logistik und Produktion unterstützen. Ähnlich wie „die Höhle der Löwen“, nur für ein früheres Stadium der Produkte.

Daniela Kaiser: Was sagen Institute wie Fraunhofer oder Universitäten mit Gründerzentren?
Rüdiger Passehl: Die interessieren sich für Nanotechnik, aber nicht für Alltagsprodukte.

Volker Siegle: Immer öfter ist zu lesen, dass Unternehmen eine Start-up-Kultur etablieren wollen, und auf der anderen Seite fehlt insgesamt die Unternehmerkultur in Deutschland. Wie passt das für Sie zusammen?
Rüdiger Passehl: Das passt nicht zusammen. Die Erfahrung machte auch unser Sohn. Heute ist er erfolgreicher Unternehmer und CEO. Auch damals, als ich gemeinsam mit meinen Geschäftspartnern das IT-Unternehmen CENIT gegründet habe, haben die Banken nicht verstanden, was wir machen. Von unseren Familien haben wir uns Geld geliehen, um überhaupt starten zu können. Die Banken haben uns nur belächelt.

Volker Siegle: Sie wurden in Ihrem Leben noch nicht oft belächelt, nehme ich an?
Rüdiger Passehl: Nein, überhaupt nicht. Es ist unangenehm, sich als Bittsteller zu fühlen.

Volker Siegle: Welche Eigenschaften haben Sie all die Jahre begleitet?
Rüdiger Passehl: Hartnäckigkeit. Wenn man von einer Sache überzeugt ist, muss man weitermachen bis zum bitteren Ende. Außer, wenn es gute Gründe gibt.

Volker Siegle: Wollten Sie schon immer Unternehmer oder Erfinder sein?
Rüdiger Passehl: Überhaupt nicht. In der Schule war ich nicht gut, in der 9. Klasse hatte ich in drei Fächern Fünfer. Nach der Lehre habe ich studiert, weil jeder bei meinem ersten Arbeitgeber, der IBM, studierte. Meine Eltern waren getrennt, mein Vater zahlte keinen Unterhalt. Ich habe Unterhaltszahlungen durchgesetzt, und das
Studium mit 1,6 abgeschlossen. Summa cum laude habe ich knapp verfehlt.

Volker Siegle: Gibt es eine Parallele zwischen der Erfahrung mit Ihrem Vater und den Erfahrungen mit den Menschen, die Sie als Geschäftspartner für die Produktion Ihres Produkts gewinnen wollten?
Rüdiger Passehl: Auf jeden Fall. Meine Idee wurde von den Vertriebsmitarbeitern der Hersteller von Fertigungsmaschinen belächelt. Das hat mich geärgert. Ich konnte ja nicht sagen, dass ich zuvor ein erfolgreiches globales Unternehmen mit über tausend Mitarbeitern gegründet und gemanagt habe. Aber es hat mich auch angespornt.

Volker Siegle: Was kommt jetzt? Viele neue Ideen?
Rüdiger Passehl: Ich habe viele Ideen. Wenn ich von manchen Produktneuheiten und Innovationen höre, denke ich mir: das könnte auch von mir sein. So dachte ich mir vor einiger Zeit: Es wäre doch klasse, wenn es einen Grill gäbe, der von oben heizt anstatt von unten. Von unten verbrennt immer das Fett. Aber von oben würde das Fleisch schön gleichmäßig gegrillt. Ich habe einen Handwerker gebeten, meinen Grill umzubauen - und kurz danach bewirbt Tim Mälzer mit dem Beefer genau diese Produktidee. Genau das Konzept, das ich bei mir zu Hause umgesetzt hatte.

Volker Siegle: Könnten Sie sich eine Situation vorstellen, bei der Sie Ihre Erfindung wieder aufgreifen und weiterverfolgen würden?
Rüdiger Passehl: Eher nicht. Am Anfang war ich sehr euphorisch. Ich war überzeugt: Mein Produkt kommt auf den Markt. Zurückblickend kann ich sagen: Es ist sehr schwer, als Einzelperson ein eigenes Produkt auf den Markt zu bringen. Gäbe es Netzwerke, in denen Crowdfunding und die fachliche Kompetenz unterschiedlicher Disziplinen zusammenkämen, dann wäre das etwas anderes. In den USA gibt es solche Plattformen, zum Beispiel Quirky.com. Hinter dieser "Invention Plattform" steht ein Netzwerk an Produzenten, Forschungsinstituten und Financiers. Kommt die eingereichte Idee gut an, wird der Erfinder zu einem Pitch eingeladen, bei dem er wiederum die Chance hat, ein Team als Unterstützung zu erhalten, um die Idee voranzubringen.
In Deutschland fehlt die Unterstützung. So gibt es zum Beispiel in meinem Fall eine Formel, die die Zusammensetzung der von mir verwendeten Salze regelt, damit sie in Europa legal verarbeitet und verschickt werden können. Ich habe Chemiker gefragt, Hersteller von Chemikalien und die staatlichen Behörden wie zum Beispiel die Bundesanstalt für Materialforschung und Prüfung - keiner konnte mir sagen, wie die Formel berechnet wird und ob meine Zusammensetzung zugelassen ist.

Volker Siegle: Sie waren in Zürich im Innovations-Kurs des Schweizerischen Instituts für Betriebsökonomie. Haben Sie aus dieser Zeit Erkenntnisse mitgenommen?
Rüdiger Passehl: In dem Seminar werden die Grundlagen von Innovation und Produktentwicklung vermittelt. Ich bin Ihnen sehr dankbar für dieses Geschenk und ich bin sehr froh, dass ich nicht den ersten, sondern den zweiten Platz beim Innovations-Award gemacht habe, so dass ich als Preis diesen Lehrgang besuchen durfte.
Nachdem ich mein Produkt nicht weiterverfolgt hatte, überlegte ich, ob ich das Seminar überhaupt besuchen sollte. Aber im Nachhinein war es sehr interessant: Wie geht man an eine Idee heran? Wie kann man andere Leute miteinbeziehen? Ich lernte effektive Methoden kennen, wie man in einer Arbeits-Gruppe neue Ideen entwickeln kann. Hätte ich den Innovations-Kurs in einem früheren Stadium meiner Produktentwicklung besucht, hätte ich vieles anders gemacht. Der Kurs sollte aus meinem Gefühl heraus Bestandteil jedes Studiums sein.
Wir sind uns einig: Die Universitäten bilden keine Unternehmer aus, sondern Angestellte.

Daniela Kaiser: Was raten Sie Menschen, die in ihrem Beruf nicht zufrieden sind und in Erwägung ziehen, sich selbständig zu machen?
Rüdiger Passehl: Just do it! Unser IT-Unternehmen ist vor dreißig Jahren genauso entstanden: wir haben die Möglichkeit gesehen, das Geschäftsmodell zu erweitern - und haben sie genutzt. Ich bin überzeugt: Jemand, der in jungen Jahren die Energie und den Mut aufbringt, ein Unternehmen zu gründen, der wird auch immer die Möglichkeit haben, sich in anderen Unternehmen zu etablieren. Man braucht Ausdauer, und man muss von seiner Idee überzeugt sein.

Volker Siegle: Könnten Sie sich vorstellen, eine Gründer-Plattform nach amerikanischem Vorbild in Deutschland zu initiieren?
Rüdiger Passehl: Nein. Mit 58 tue ich mir das nicht mehr an. Ich will keine 365 Tage mehr im Jahr arbeiten. Wenn Sie das machen, würde ich vielleicht unterstützend mitwirken. Brainstormen und meine Erfahrungen einbringen. Aber Sie, Herr Siegle haben die Connections, um so eine Plattform zu initiieren. Die Idee finde ich sehr gut. Für Kleinerfinder vor der „Höhle der Löwen“.

Daniela Kaiser: Wie schaffen wir in Deutschland eine Atmosphäre, die mehr Gründungen schafft? Wie können wir junge Menschen dafür begeistern, sich selbständig zu machen und ein Unternehmen zu gründen, anstatt als Angestellter die Sicherheit zu suchen?
Rüdiger Passehl: Wir brauchen Vorbilder. Mentoren. Menschen, die es einem zutrauen. Menschen, die die Richtung weisen. Bei meinem Sohn habe ich gesagt: „Ich traue es dir zu. Ich stehe hinter dir." Bei Fragen stehe ich ihm als Sparringpartner zur Verfügung.

Daniela Kaiser: Aus welchem beruflichen Umfeld kamen Sie? Hatten Sie als Kind und Jugendlicher Unternehmer als Vorbild?
Rüdiger Passehl: Leider nein. Mein Großvater war Zimmermann, mein Vater Angestellter.

Rüdiger Passehl wirkt auf uns wie ein Mann, der Chancen erkennt und handelt, wo andere reden. Ein Mann, der dankbar ist und zugleich überzeugt von seinen Fähigkeiten. Ein Mann, der zur richtigen Zeit am richtigen Ort die richtigen Entscheidungen trifft.

12. August.2016 Volker Siegle & Daniela Kaiser