Interview
Regionen mit einer starken Innovationskultur wie die Region Böblingen profitieren von einer gut vernetzten und technologieaffinen Baubranche, die moderne Ansätze wie Digitalisierung, nachhaltiges Bauen und Ressourceneffizienz integriert. Liebe Bärbel, wie schätzt Du die aktuelle Neubau-Entwicklung in der Region ein?
In den vergangenen Jahren standen wir in der Baubranche vor erheblichen Herausforderungen. Die Corona-Pandemie brachte einerseits positive Impulse für den Immobilienverkauf, andererseits führte sie zu erheblichen Lieferkettenproblemen und Materialengpässen. Kaum hatten wir uns von dieser Krise erholt, folgte der Ukrainekrieg, der innerhalb eines Jahres zu zehn Zinserhöhungen führte. Diese drastischen Entwicklungen hatten einen ähnlichen Effekt wie ein verspäteter Lockdown: Die Kaufzurückhaltung stieg stark, und gleichzeitig hat sich ein enormer Bedarf an Wohnraum angestaut. Hinzu kommt, dass wir in der Region einen signifikanten Zuzug von Fachkräften erleben, insbesondere in den Bereichen Technologie und Innovation. Diese neuen Arbeitskräfte bringen nicht nur ihr Know-how mit, sondern auch einen erhöhten Bedarf an modernem Wohnraum. Diese Krisen haben uns aber auch gelehrt, uns den Herausforderungen mit innovativen Ansätzen zu stellen. Themen wie Digitalisierung und nachhaltiges Bauen rücken immer mehr in den Fokus. Ein weiterer entscheidender Faktor in der aktuellen Bauwirtschaft ist das nachhaltige Bauen, das eine immer größere Rolle spielt. Viele neue Projekte setzen verstärkt auf ökologische Aspekte und verwenden ressourcenschonende Materialien sowie energieeffiziente Bauweisen. Gleichzeitig stehen wir vor immer höheren Anforderungen seitens der Politik. Interessanterweise hat die Regierung in einigen Bereichen, wie beispielsweise bei der Gasversorgung, ‚das Gas rausgenommen‘, weil sie erkannt hat, dass bestimmte Anforderungen in der Praxis schlichtweg nicht erfüllt werden konnten. Eine der größten Aufgaben und Chancen bestehen jedoch darin, den Bestand zu modernisieren. Dabei wurde festgestellt, dass der Aufwand in diesem Bereich oft viel höher ist als ursprünglich angenommen. Gleichzeitig sind die Anforderungen an den Neubau, insbesondere in Bezug auf energetische Auflagen, oft überzogen und unrealistisch. Nachhaltigkeit macht nur dann wirklich Sinn, wenn sie praktikabel umgesetzt werden kann – etwa im seriellen Bauen von Mietwohnungen oder auf speziellen Grundstücken, bei denen der Bebauungsplan entsprechend ausgelegt ist. Hier müssen wir einen Mittelweg finden, der sowohl ökologische als auch wirtschaftliche Aspekte berücksichtigt.
Welche Hürden siehst Du aktuell in der Region Böblingen, die die positive Neubau-Entwicklung trotz der vorhandenen Innovationskultur bremst? Gibt es spezifische Herausforderungen, sei es in Bezug auf Baukosten, gesetzliche Vorgaben oder den Fachkräftemangel?
Bereits 2019 haben wir gemeinsam mit Ministern Dr. Hoffmeister-Kraut einen Wohngipfel organisiert, bei dem sich klar abzeichnete, dass alle relevanten Akteure – Bürgermeister, Bauamtsmitarbeiter, Gemeinderäte, Politiker sowie Fachreferenten – an einen Tisch gebracht werden müssen, um die Herausforderungen im Wohnungsbau zu bewältigen. Das Ziel war es, Lösungen zu finden. Leider ist es uns bis heute nicht gelungen, die Kultur des ‚Wollens‘ flächendeckend hinter den Schreibtischen umzusetzen. Es gibt innerhalb der Bauvorschriften Spielräume, die mehr genutzt werden sollten, um die Prozesse der Baugenehmigung zu beschleunigen. Hier liegt die Schuld nicht nur bei den Bauämtern. Ein großes Problem ist auch die Haltung der Gesellschaft: Viele Menschen befürworten den Bau neuen Wohnraums – solange er nicht in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft geschieht. Dieses sogenannte ‚Not in my backyard‘-Phänomen trägt maßgeblich zu den langen Genehmigungszeiten bei, die dann noch übertriebene Anforderungen, wie beispielsweise bei Stellplätzen weiter verschärft werden. Zudem verschärft der Fachkräftemangel in den Behörden die Situation, da viele Bauanträge einfach nicht schnell genug bearbeitet werden können. Hier muss aufgestockt und die personelle Ausstattung der Behörden verbessert werden, um die Abläufe effizienter zu gestalten. Ein weiteres Thema ist die Kostenentwicklung im Bauwesen. Während die Leistung z.B. bei einem Brötchen gleichbleibt und nur der Preis steigt, sieht es bei Neubauimmobilien anders aus. In den letzten Jahren hat sich die Leistung eines Neubaus erheblich gesteigert – um bis zu 40 %. Verbesserte Wärmedämmungen, dreifachverglaste Fenster, Fußbodenheizungen, hochwertige Ausstattung wie elektrische Rollläden und Parkett, energieeffiziente Heizungen sowie PV-Anlagenpflicht, umfangreiche Gutachten, größere Kellerflächen aufgrund von zusätzlichen Fahrradabstellplätzen und mehr Stellplätze machen den Bau wesentlich teurer. Diese steigenden Anforderungen treiben die Kosten nach oben und belasten sowohl Bauträger als auch Käufer.
Du hast einige Hürden für die Neubau-Entwicklung in der Region Böblingen angesprochen. Welche nationalen und internationalen Faktoren, wie etwa wirtschaftliche Unsicherheiten oder geopolitische Entwicklungen, beeinflussen aus Deiner Sicht die Baubranche derzeit zusätzlich? Und welche regionalen Besonderheiten würdest Du als besonders herausfordernd sehen, die die Situation in Böblingen im Vergleich zu anderen Regionen vielleicht noch schwieriger machen?
Für viele Menschen ist das eigene Haus oder die eigene Wohnung weit mehr als nur ein Ort zum Leben – es ist eine entscheidende Form der Altersvorsorge und eine beliebte Anlageform. Gerade in wirtschaftlich unsicheren Zeiten haben sich Immobilien als besonders stabile Investition bewährt. In vergangenen Krisen, mit denen wir Deutschen ausreichend Erfahrung haben, gehörten Immobilien zu den wenigen Anlageformen, die das Vermögen auch in schwierigen Zeiten erhalten konnten. Zwar kann es während einer Krise zu Einschränkungen bei der Bewirtschaftung von Immobilien kommen, etwa weil Mieten nicht im gleichen Maße wie die Inflation steigen können, aber sobald sich die Lage stabilisiert, erleben wir einen deutlichen Wertzuwachs der Immobilien. Der Immobilien- und Bausektor steht weiterhin vor einem enormen Bedarf. Über Jahrzehnte wurde der Neubau vernachlässigt, und Sanierungsmaßnahmen fanden nur sporadisch statt, während der Zuzug in Ballungsgebiete unvermindert anhält. Immobilienprojekte sind deshalb heute mehr denn je von zentraler Bedeutung. Das sogenannte ‚Betongold‘ hat sich als besonders krisensicher erwiesen und spielt eine Schlüsselrolle für die wirtschaftliche Stabilität in der Zukunft. Es ist jedoch von entscheidender Bedeutung, dass Politik, Zentralbanken, Bauunternehmen und Investoren gemeinsam Lösungen erarbeiten, um den steigenden Wohnraumbedarf zu decken und den Wohnungsbau zu fördern. Nur durch koordinierte Anstrengungen und die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen und Finanzierungsmöglichkeiten kann der dringend benötigte Neubau realisiert werden. Diese enge Zusammenarbeit ist unerlässlich, um sicherzustellen, dass nicht nur der Bedarf gedeckt wird, sondern auch die Qualität und Nachhaltigkeit der Immobilien gewährleistet sind. In unserer wirtschaftsstarken und nachverdichteten Region wird es für regionale Bauträger zunehmend schwieriger, geeignete Flächen zu erwerben. Das liegt daran, dass sie oft in Konkurrenz mit kommunalen Gesellschaften stehen. Allerdings führen diese Entwicklungen dazu, dass Grundstückspreise immer weiter steigen. Ein Beispiel ist Ehningen - Herdstelle: Dort wurde bei einem gesamten Baugebiet nur ein einziges Grundstück in private Hand vergeben – der Rest blieb kommunal allerdings ohne Sozialwohnungen zu bauen. Solche Beispiele zeigen, wie schwierig es für private Bauträger ist, an bezahlbare Flächen zu gelangen, was den Wohnungsbau zusätzlich erschwert und die Preise weiter in die Höhe treibt. Ein weiteres Problem, das wir aktuell beobachten, ist die politische Verunsicherung der Menschen. Viele, die eigentlich gerne eine Immobilie kaufen möchten, lassen sich durch die Unsicherheiten in der Politik stark beeinflussen und zögern ihre Kaufentscheidung hinaus. Dabei haben sich Immobilien immer wieder als stabile und wertbeständige Anlageform bewährt.
Welche Lösungsmöglichkeiten siehst Du, um die Neubau-Entwicklung in der Region Böblingen voranzutreiben? Gibt es konkrete Ansätze, sei es in der Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Akteuren, in der Technologieanwendung oder im Umgang mit gesetzlichen Vorgaben, die erfolgversprechend erscheinen?
Es ist dringend notwendig, dass wir die vorhandenen Spielräume besser nutzen, um Baugenehmigungen schneller voranzutreiben. Die Digitalisierung kann dabei sicherlich unterstützen, sollte aber nicht als Allheilmittel betrachtet werden. Ein gutes Beispiel hierfür ist Stuttgart, wo für ein dreiviertel Jahr keine Baugenehmigungen erteilt wurden, weil die Umstellung auf digitalisierte Prozesse nicht reibungslos funktioniert hat. Das zeigt, dass Digitalisierung zwar wichtig ist, aber nicht das alleinige Mittel zur Lösung aller Probleme sein kann. Um die Baubranche zu stärken, muss die Politik weitere Schritte einleiten. Dazu gehört zum Beispiel eine Senkung der Grunderwerbsteuer für die erste Immobilie, um den Erwerb von Immobilien attraktiver zu gestalten und somit dem Markt anzukurbeln. Darüber hinaus ist eine Senkung der Zinsen bzw. ein Gesetz zur Abschreibung der Schuldzinsen und eine Erhöhung der Abschreibungen für Neubauten erforderlich, um den Wohnungsbau zu fördern. Gleichzeitig sollten die DIN-Normen nicht weiter verschärft werden, um den Bau neuer Wohnungen nicht unnötig zu erschweren. Nur so können wir den Wohnungsbau ankurbeln und den dringend benötigten Wohnraum schaffen. Die Politik hat im Juli 2024 einen Entwurf zur Reform der Landesbauordnung unter dem Titel ‚Schnelleres Bauen‘ beschlossen, der ab 2025 in Kraft treten soll. Mit dieser Reform soll das Bauen in Baden-Württemberg schneller und einfacher werden. Sie gliedert sich in vier Bereiche und verfolgt das Ziel, den Bürokratieabbau voranzutreiben. Ob diese Änderungen jedoch die erhoffte Beschleunigung bringen, bleibt abzuwarten. Es wird entscheidend sein, wie effektiv die Reformen in der Praxis umgesetzt werden, um die dringend notwendige Entlastung für die Bauwirtschaft zu schaffen.
Warum ist es Deiner Meinung auch heute noch wichtig, sein Eigentum zu haben und daran zu glauben, dass so eine Entscheidung von Langfristigkeit geprägt ist?
Das eigene Zuhause spielt nach wie vor eine zentrale Rolle im Leben vieler Menschen und ist aus mehreren Gründen von immenser Bedeutung. Es bietet nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern vor allem ein Gefühl von Sicherheit und Stabilität. In einer Welt, die von wirtschaftlichen Unsicherheiten und gesellschaftlichen Veränderungen geprägt ist, gibt das Eigentum den Menschen einen festen Anker. Es ist der Ort, an dem Familien wachsen, Erinnerungen entstehen und man einen persönlichen Rückzugsort hat. Der Kauf eines Eigenheims ist oft die größte finanzielle Entscheidung im Leben eines Menschen. Im Gegensatz zur Miete, bei der monatlich gezahlt wird, investiert man in etwas Greifbares und Nachhaltiges, das im Wert steigt. Historisch gesehen haben Immobilien in vielen Regionen an Wert gewonnen, was den Besitz eines Eigenheims nicht nur zu einer sicheren Wohnmöglichkeit, sondern auch zu einem soliden Vermögensaufbau macht. Darüber hinaus wird Eigentum oft mit langfristigen Überlegungen verbunden. Viele sehen darin eine Möglichkeit, für die Zukunft vorzusorgen – sei es für die eigene Altersvorsorge oder als Erbe für die nächste Generation. Diese langfristige Perspektive fördert verantwortungsbewusstes Handeln und eine nachhaltige Lebensweise. Immobilien sind eine optimale Sparform, denn im Gegensatz zu Gold oder Aktien bietet das Eigenheim nicht nur Wertstabilität, sondern auch eine reale Nutzung. Man kann nicht auf Goldbarren wohnen oder auf Aktien schlafen, aber eine Immobilie begleitet einen oft ein Leben lang und ist somit eine der verlässlichsten Formen der Altersvorsorge. Andere Anlageformen werden häufig vorzeitig aufgelöst, wenn sie für andere Zwecke benötigt werden, was die Altersvorsorge gefährden kann – bei einer Immobilie hingegen bleibt diese Sicherheit bestehen.